Warum haben manche Gänseblümchen rosa Spitzen?

Jetzt ist es soweit. Unweigerlich hat der Frühling in unseren Tälern Einzug gehalten. Die Gipfel prangen noch in strahlendem Weiß, oben lässt sich weiterhin wunderbar Skifahren, doch im Tal werden die Wiesen immer grüner. Wenn man an diesen Apriltagen in der Natur unterwegs ist, und den letzten Schneeflecken im Tal beim Schmelzen zusieht, so stechen einem unweigerlich auch die ersten Frühlingsboten in die Augen, die allseits beliebten und überall wachsenden Gänseblümchen. Der wissenschaftliche Name lautet Bellis perennis. Das ist – wie so häufig bei Namensgebungen in den Naturwissenschaften – Latein und bedeutet „hübsch, schön“ (bellus) und „das ganze Jahr hindurch dauernd“ (perennis) und bezieht sich darauf, dass die Pflanze das ganze Jahr über blüht. Naja, fast; die Blütezeit reicht bis Ende November, Bellis perennis kann an warmen Wintertagen schon Ende Januar wieder erscheinen und gibt nur in Dauerfrostperioden vorübergehend auf. Die Hauptblütezeit ist jedoch April und Mai, während dieser Zeit sind ganze Wiesen voller Gänseblümchen. Der bei uns gebräuchliche Name „Gänseblümchen“ weist auf einen bevorzugten Standort der Pflanze hin, nämlich die Weideplätze von Gänsen (doch seien wir ehrlich, wo gibt es bei uns noch ausgewiesene Gänseweideplätze?). In der nordischen Mythologie war das Gänseblümchen der Göttin des Frühlings und der Auferstehung, der Ostara, geweiht. Fällt Ihnen etwas auf? Ostara ist auch die vorchristliche Namensgeberin von Ostern. Gänseblümchen sind eng mit dem Brauchtum zur Osterzeit verbunden. Der Volksmund weiß, wer die ersten drei Blüten des Jahres mit dem Mund pflückt und isst, bleibt das ganze Jahr von Krankheiten verschont und wenn man sieben Blüten auf einmal mit seinem Fuß bedecken kann, sei der Frühling da.

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(Bearbeitung einer Zeichnung von Jacob Sturm, 19. Jhdt., gemeinfrei)

Nun wollen wir aber den Aberglauben hinter uns lassen und uns der Wissenschaft zuwenden. Bellis perennis sind nämlich ausgesprochen interessante Blumen. Was auf den ersten Blick wie eine hübsche, gelbe, weiß umrandete Blüte aussieht, sind in Wirklichkeit zwei Blumen in einer. Die strahlend weißen Blütenblätter zählen als eine Blume und die Gruppierung aus winzigen, gelben Blütenblättern in der Mitte, die das „Auge“ bilden, sind – technisch gesehen – eine zweite Blume. Du hast sicher eine Lupe zu Hause. Betrachte einmal das gelbe Auge der Gänseblümchen etwas genauer. Man erkennt hervorstehende, in einem interessanten Spiralmuster angeordnete, körbchenförmige Blüten. Es handelt sich um 75 bis 125 gelbe, trichterförmige, nur rund 1,5 mm lange Röhrenblüten. Faszinierend, nicht wahr? – Diese Blütenkörbchen werden von Bienen, Schwebfliegen, Hummeln und vor allem Fliegen besucht. Die sorgen, wie bei den meisten Blütenpflanzen so üblich, für die Bestäubung. In den bestäubten Blüten entwickelt sich die Samen der Bellis perennis. Dies sind winzige, rund 1 mm kleine Nüsschen, die man Achänen nennt. Das Gänseblümchen nutzt eine Reihe sehr unterschiedlicher Strategien zur Ausbreitung dieser Achänen. Typisch ist die Verbreitung der Achänen durch den Regen. Auftreffende Tropfen schleudern die Achänen in den Umkreis der Mutterpflanze. Eine andere Ausbreitungsform findet durch den Wind statt: Die elastischen und etwas verlängerten Stängel werden durch Windböen bewegt und die kleinen Achänen ausgestreut. Die Achänen werden aber auch durch Tiere verbreitet, vor allem durch Regenwürmer und Weidevieh.

Die Blüten schließen sich bei Nacht und richten sich bei Tag zur Sonne aus.

Junge Gänseblümchen am Morgen, voller Anthocyan-Sonnenschutzmittel. (zum Vergrößern anklicken)

Nur mehr bei ein paar Blüten erkennt man schwach die rosa Färbung der Spitzen.

Ältere Bellis perennis, bei denen das Anthocyan schon fast zur Gänze zurückgebildet worden ist. (zum Vergrößern anklicken)

Doch warum haben nun manche Gänseblümchen rosa Spitzen? Und warum verlieren viele Gänseblümchen im Laufe der Zeit diese Färbung wieder? Die Färbung geschieht durch eine Konzentration eines bestimmten Farbpigmentes, dem Anthocyan. Anthocyane sind  Farbstoffe, die nur im Zellsaft von Landpflanzen, nicht aber in Tieren, Mikroorganismen oder Wasserpflanzen zu finden sind. Unsere Bellis perennis nutzen das Anthocyan als eine Form des Sonnenschutzes. Genauso wie beim Menschen, der sich viel an der Sonne aufhält, Farbpigmente die Haut dunkler werden lassen, schützen Anthocyane unser Gänseblümchen und andere Pflanzen vor schädlichem UV-Licht und ionisierender Strahlung.

Hier schützt das Anthocyan die durch UV-Licht besonders gefährdeten Röhrenblüten.

Anthocyan schützt die besonders gefährdeten Röhrenblüten.
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Dieses Farbpigment sammelt sich, wenn die Pflanze jung ist, und die sich noch entwickelnden und wachsenden Teile der Blume geschützt werden müssen. UV Strahlen könnten in dieser Phase der Pflanze sehr schädlich werden und das Zellwachstum verhindern. Sobald Blätter und Blütenkörbchen voll entwickelt sind, und auch genug Wasser aus den Wurzeln hinaufgesogen wird, wird das Anthocyan chemisch abgebaut und die Färbung verliert sich. Manche Gänseblümchen behalten ihre rosa Spitzen jedoch genetisch bedingt dauerhaft. – Übrigens lässt sich der gleiche Schutzmechanismus auch bei jungen Laubbaumblättern feststellen, die ebenfalls eine leichte Rotfärbung aufweisen. Und Anthocyan-Farbstoffe sind übrigens auch für die kräftige Färbung von Brombeeren, Moosbeeren, blauen Trauben, Kirschen und vielen anderen Pflanzen und Früchten verantwortlich.

Junges Laubblatt, die rötliche Farbe kommt vom Sonnenschutzmittel Anthocyan.

Junges Laubblatt, die rötliche Farbe kommt vom Sonnenschutzmittel Anthocyan. (zum Vergrößern anklicken)

Jetzt haben wir einen weiten Bogen von schmelzendem Frühjahrsschnee bis zu Herbstfrüchten gespannt, kommen wir zum Schluss daher nochmals auf unsere lieblichen Bellis perennis zurück: Gänseblümchen sind eine der wenigen Pflanzen, die in jeder Klimazone und auf jedem Kontinent, außer in der Antarktis zu finden sind. Sie finden in der Heilkräutermedizin Anwendung, aus ihren Blättern kann man Salat machen und auch die Blüten sind essbar. Die Knospen, sowie die nur halb geöffneten Blüten schmecken angenehm nussartig, die geöffneten Blüten dagegen leicht bitter.

Also, hinaus in die Frühlingsluft, sammle ein paar Gänseblümchen, untersuche sie, betrachte sie unter einer Lupe und dann verspeise sie. 

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