Wie überleben Bäume den Winter?

Im Herbst erfreut man sich an der bunter werdenden Natur. Wie schön ist es doch, durch knöchelhohes, raschelndes Laub zu spazieren und bunte Blätter zu sammeln. Vorzeichen, dass in der Natur etwas Großes vor sich geht, sich Pflanzen und Bäume auf den bevorstehenden Winter vorbereiten. Doch wie genau überleben Bäume eiskalte Wintertage und klirrende Frostnächte?

Bäume stammen aus den Tropen

Fossilien zeigen, dass es vor ungefähr 250 Millionen Jahren  keine Bäume bzw. generell keine Pflanzen auf der Erde gab, die geeignet gewesen wären, Temperaturen von unter 0 Grad Celsius zu überleben. Alle waren an tropisches Klima angepasst, wo es immer warm ist, Wasser allzeit flüssig bleibt, Blätter das ganze Jahr über sicher vor kaltem Wetter sind und Frost nicht gefürchtet werden muss. Würde man einen tropischen Baum, egal, ob im Erdmittelalter oder heute, in kühleres Klima verfrachten, sagen wir, zu uns in den Alpenraum, würde das Wasser im Winter in seinen lebendigen Zellen in scharfkantige Eiskristalle gefrieren und jene in allen seinen Blättern von innen her zerreißen. Das gleiche passiert, wenn man Salat oder Spinat einfriert. Da sich Wasser ausdehnt, wenn es friert, werden die Zellen gesprengt und zurück bleibt eine unansehnliche Masse schlaffen Gemüses. Temperaturen unter 0 °C bedeuten auch, dass nicht nur die Blätter zerstört würden, sondern auch das Wasser im „Leitungssystem“ der Baumstämme frieren würde. Durch letzteres formieren sich gefährliche Bläschen im Eis aus Gasen, die zuvor im flüssigen Wasser gelöst waren. Schmilzt das Eis wieder, bleiben die Gasbläschen erhalten, und das ist ein großes Problem. Dies deshalb, weil das gesamte Wassertransportsystem in den Bäumen von den Wurzeln zu den Ästen auf Anziehungskräften zwischen den Wassermolekülen beruht, welche das Wasser gegen die Erdanziehung nach oben befördern. Luftbläschen zerstören die langen Wassermolekül-Ketten und unterbrechen so den Wasserfluss in die Höhe. Das ist durchaus mit Embolien beim Menschen zu vergleichen, bei welchen Luftbläschen im Blut zu einem gefährlichen Verschluss der Blutbahnen führen kann.

Phloem und Xylem
Gefärbter Querschnitt durch eine Sprossachse einer einkeimblättrigen Pflanze. Das Phloem ist mit einem Pfeil markiert und kaum gefärbt. Oben befindet sich das Xylem. (Clematis - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org)

Um also im kalten Wetter überleben zu können, müssen Bäume zwei Szenarien vermeiden: Luftbläschen in ihrem Wasserleitungssystem und direkte Schäden an ihren lebenden Zellen durch die Formierung von Eiskristallen. Die Evolution, also die natürlich Weiterentwicklung, allmähliche Veränderung und Anpassung an äußere Einflüsse, löste das erste Problem schon, noch bevor Bäume in kältere Erdregionen vordrangen. Denn Luftbläschen sind auch ein Problem während Dürreperioden. Wenn es sehr trocken ist, arbeiten Bäume härter daran, Wasser aus dem Untergrund zu ziehen. Durch den stärkeren Sog können unbeabsichtigt Luftbläschen aus den umgebenden Holzfasern in die Wasserleitungen gelangen. Die Bäume reagierten darauf mit schmäleren Leitungen und regelmäßigen Einengungen. Wegen entsprechender physikalischer Naturgesetze entstehen so weitaus kleinere und bedeutend weniger Luftbläschen. Die an Trockenperioden angepassten Ahnen unserer Bäume waren also zufälligerweise bereits für kältere Klimazonen gerüstet. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass diese Anpassung die Vermeidung von Folgeschäden durch Luftbläschen beschreibt, aber keine Methode ist, das Frieren im Leitungssystem zu vermeiden.

Wenn flüssiges Wasser zu Eis gefriert, dehnt es sich aus, da sich die Wassermoleküle neu anordnen, wenn sie vom flüssigen Zustand zu einem festen Kristallgitter übergehen. Man kennt das: wenn Wasser in einer voll gefüllten Flasche friert, kann es so stark drücken, dass der Behälter platzt. Das Gewebe in den Bäumen, welches dem Flüssigkeitstransport dient (man nennt es Xylem und Phloem) kann man sich wie kleine Rohre vorstellen, die Wasser und Nährstoffe im ganzen Baum verteilen. Sie können auch einfrieren und platzen, wodurch der Baum zu knacken beginnt. Das knisternde oder Explosionsgeräusch, das man manchmal an stillen, eiskalten Wintertagen im Wald hören kann, ist der Klang, wenn diese „Rohre“ einfrieren und platzen. Dieses Bersten ist in der Regel aber nicht so heftig, dass es tödlich für den Baum wäre. Ein Baum hat Hunderte bis Zehntausende dieser Xyleme und Phloeme. Platzt eines, bleiben dem Baum noch viele andere. Ferner ist jeder dieser Flüssigkeitskanäle so klein, dass ein einzelner Kanal beim Bersten nicht viel Schaden im umgebenden Gewebe anrichtet. Außerdem ist Holz viel weicher und flexibler als zB Glas. Wenn also ein Kanal friert, kann sich das Gewebe bis zu einem gewissen Maß auch dehnen, so dass der Kanal nicht platzt.

Natürliche Frostschutzmittel

Als sich die Bäume im Laufe der Erdgeschichte über die gesamte Erde ausbreiteten und so auch in kalten Regionen Fuß fassten, entwickelten sie hier zwei Methoden, um Frostschäden an und in den Blättern zu vermeiden. Die erste füllt im Herbst lebende Blattzellen mit konzentrierten Zuckerlösungen, eine Art natürliche, biologische Version von Frostschutzmittel. Manche Baumarten, hauptsächlich immergrüne Nadelbäume wie Fichten, Tannen und Föhren nutzen ausschließlich diese Methode. Doch andere Baumarten, wie Lärchen, Buchen und generell nahezu alle bei uns heimischen Laubbäume kombinieren geringere Zuckerkonzentrationen in den Blattzellen mit der zweiten Methode, um sich vor tödlichen Frostschäden zu schützen: sie stoßen ihre Blätter und Nadeln im Herbst ab.

Herbstblätter
Herbstblätter
Ahornblatt im Herbst
Ahornblatt im Herbst

Säureeinsatz und Dormanz

Nicht nur die Kälte macht Laubbäumen im Winter zu schaffen, sondern auch der Wassermangel durch gefrorene Böden, respektive der geringere Wassereintrag in den Boden, wenn der Niederschlag in Form von Schnee fällt. Wasser sparen ist daher oberste Devise, und am besten geht das ohne Blätter. Pflanzen gewinnen ihre Energie aus Sonnenlicht durch die so genannte Photosynthese in den grünen Blättern. Durch diese verdunstet aber auch enorm viel Flüssigkeit. Also weg mit den Blättern! Wenn es soweit ist, bildet der Baum Abszisinsäure an den Spitzen der Blattstängel, wodurch das Blatt abbricht. Bevor der Baum die Blätter jedoch abwirft, zieht er noch alle Nährstoffe und andere, wertvolle Zellbestandteile aus den Blättern, unter anderem auch das Chlorophyll (Blattgrün). Durch den Verlust des Blattgrüns färbt sich das Laub gelb bis rot. Das geht so lange, bis die Blätter aus Energiemangel abfallen. Da nun der Baum keine Energie mehr gewinnen kann, beginnt er eine Art Winterruhe, die Dormanz genannt wird (von lat. dormire, schlafen) und dem Winterschlaf von Tieren nicht unähnlich ist. Die Abszisinsäure hilft auch hierbei, denn sie verhindert die Zellteilung. Der Baum kann also nicht „unabsichtlich“ im Winter zu wachsen beginnen und damit unnötig Energie verbrauchen.

Herbstlicher Buchenwald
Herbstlicher Buchenwald

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