Warum knirscht kalter Schnee?

Ist es nicht ein herrliches Gefühl, durch frisch gefallenen Schnee zu stapfen und dabei jenem angenehmen Knirschen zu lauschen, das die eigenen Schritte verursachen? Wenn der Schnee durch besonders kalte Luft fällt, kann man ein Phänomen erleben, das so typisch zum Winter gehört, wie Schneefall selbst. Man hört oft ein Quietschen und Knirschen, das sehr behaglich klingt. Wie sich Schnee formt und welche Flocken sich wann bilden, wurde eingehend wissenschaftlich ergründet, doch das charakteristische Knirschen wurde nur wenig erforscht und noch weniger verstanden.

Schnee bildet sich, wenn sich unterkühlte Wassertröpfchen an Partikeln anlagern, die in der Luft schweben, und daran anfrieren. Den genauen Vorgang habe ich in einem früheren Narrotibi-Artikel mit dem Titel „Was ist das schmutzige Geheimnis von Schnee?“ beschrieben. Du kannst ihn hier nachlesen. Schneekristalle können die Form von klassischen, sechsseitigen Dendriten und Nadeln bis zu Pellets und chaotischen Kristallen annehmen. Als Dendriten (von griechisch déndron, „Baum“) bezeichnet man in der Kristallkunde baum- oder strauchartige Kristallstrukturen. Im Prinzip sind das die herkömmlichen, sechsstrahligen Schneesterne, die jeder kennt. Es ist wirklich selten, dass ein unberührter Dendrit die Reise von seinem Entstehungsort in einer Wolke bis zum Boden unverändert übersteht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Schneekristalle andere unterkühlte Tröpfchen treffen, um schwerere Flocken und dicht gepackte Pellets zu bilden, die Graupel genannt werden. Zwar ist solcher Schnee am besten für Schneebälle geeignet, aber das Treten auf diesen dichteren Schnee erzeugt normalerweise nur einen dumpfen, unschönen Ton. Der flauschigste Schnee, unser allseits beliebter Pulverschnee, besteht aus fast puren Dendriten mit sehr geringer Feuchtigkeit, die sich nur rein mechanisch miteinander verhaken und aneinander gefrieren. Dies ist der Stoff, der das angenehme Knirschen verursacht.

Sinterung lässt Bindungen entstehen

Doch nicht jeder trockene Schnee knirscht. Frisch gefallener, trockener Schnee gibt ein dumpfes „woff“ von sich, wenn man auf ihn tritt. Der Schnee muss eine Weile in eiskalter Luft verweilen und sich leicht unter seinem eigenen Gewicht setzen, bevor er knirschen kann. Dabei passiert es, dass auf mikroskopischer Ebene manche Kristalle schmelzen und sofort wieder frieren. Winzige Bindungen entstehen zwischen den Flocken – vergleichbar mit Schweißnähten, die aber nur ein paar hundert Nanometer (millionstel Millimeter) groß sind. Das lässt sich mit Eiswürfel vergleichen, die man in einem Kübel in den Gefrierschrank stellt, und die sich allmählich unter ihrem eigenen Gewicht zu einem großen Stück Eis verklumpen. Die Würfel verbinden sich in einem Prozess, der „Sintern“ genannt wird, und das passiert auch auf einer Nanometerskala mit Schnee. Sinterung – das Wachstum dieser winzigen Schweißnähte oder Hälse zwischen den Eiskristallen – findet über Stunden hinweg statt. Die Schweißnähte bilden eine filigrane Struktur aus, welche das Gewicht des Schnees tragen und ihn vor einem weiteren Zusammensacken bewahren. Diese Hälse geben das charakteristische Knirschen von sich, wenn sie gebrochen werden. Und sie brechen sequentiell, von der Oberfläche des Schnees bis zu jenem Punkt, wo der Fuß aufhört, weiter einzusinken, weil man den Schneeuntergrund ausreichend verdichtet hat, um sein Gewicht zu tragen. Bei nassem Schnee funktioniert das nicht. Die Nano-Bindungen sind  dann nicht spröde genug.

Makroaufnahme von Neuschnee, bereits leicht gesetzt
Makroaufnahme von verkrustetem Schnee

Temperatur spielt eine große Rolle

Nun müssen wir über die Temperatur reden. Es gibt drei physikalische Faktoren, die das Knirschen von Neuschnee beeinflussen. Der Mechanismus hinter allen drei ist die gleiche – Schmierung. Wenn Schnee nicht knirscht, sind die Kristalle im Schnee gut geschmiert. Beim Pressen von Schnee mit den Händen zu einem Schneeball oder Rollen von Kugeln für einen Schneemann wird verständlich, dass Temperaturen nicht allzu weit unter der Schmelztemperatur von 0 °C das Zusammenbacken von Schnee unter mäßigem manuellem Druck erleichtert. Die Festigkeit eines kleinen, mit hohem Druck gefertigten Schneeballs reicht nahe bis an die Festigkeit von kompaktem Eis, er enthält entsprechend wenig Luftporenanteil. Dieser Schnee knirscht nicht, weil er zu „warm“ ist. Wenn der Schnee allerdings knirscht, ist die Schmierung schlecht. Das Gleitmittel ist natürlich in jedem Fall Wasser, das aus zwei Quellen kommt, die beide temperaturabhängig sind.

(1) Der erste Faktor ist Wasser. Eiskristalle sind immer von einer sehr dünnen Schicht von Wasser umgeben. Die Dicke dieser Schicht variiert mit der Temperatur, die von einer, ein Molekül dicken Schicht bei etwa -10 ºC bis zu hunderten von monomolekularen Schichten bei -1 ºC reicht.

(2) Der zweite Faktor ist Druck; er senkt den Schmelzpunkt von Wasser. Wenn du auf Schnee trittst, werden die Kristalle gegeneinander gedrückt. Das Eis an den Berührungspunkten kann schmelzen und eine dünne Schmiermittelschicht bilden. Nur ist der Druck von den Sohlen deiner Schuhe viel zu klein, um Schnee bei jeder Temperatur zu schmelzen, so dass dieser Faktor in diesem Zusammenhang eher nicht relevant ist.

(3) Der dritte Faktor ist die Form der Schneekristalle: Kristalle mit einer größeren Anzahl von spitzen Kanten erleichtern das Sintern. Eine extrem spitze Struktur der Schneekristalle kann manchmal die anderen Faktoren ausgleichen, so dass Schnee knirscht, auch wenn es wärmer als -10 °C ist.

Es ist schwer zu sagen, wie diese Faktoren miteinander interagieren, um die Schneekristalle zu schmieren (oder nicht zu schmieren), aber es scheint auf jeden Fall etwas bei ungefähr -10 °C zu passieren, genug, um einen merkbaren Unterschied zu machen: wenn es kälter als etwa -10 °C ist, dann knirscht Schnee, wenn es wärmer ist, in der Regel nicht. Diese drei Faktoren bestimmen zusammen die genaue Temperatur, bei der Schnee zu knirschen beginnt. Aber die -10 °C Regel ist eine überraschend gute Faustregel, wenn du vorhersagen willst, ob du das schöne knirschende Geräusch von Schnee erleben wirst, wenn du einen Spaziergang durch die Winterlandschaft machst.

Zur Gänze ist dieses Phänomen noch nicht vollkommen verstanden worden. Interessanterweise geschieht aber die intensivste Forschung zu diesem Thema im Bereich der Materialwissenschaft. Erkenntnisse, die bei der Untersuchung des Sinterns bei Schnee gewonnen worden sind, fanden Anwendung bei der Herstellung von Keramiken und halfen bei der Erstellung von Vorhersagemodellen für komplexes, mikro- und nanoskaliges Verhalten von Materialien für Batterien.

Interessante Links zum Thema

Entstehung von Schnee: Das schmutzige Geheimnis von Schnee

Wikimedia: Close-ups of snow crystals

Journal of Physics D: Applied Physics: Sintering and microstructure of ice (Bezahlschranke!)

 

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