Wie funktioniert das Wetterläuten?

Ende Mai 2016 ist ein verheerender Hagelsturm über unser Land gezogen und hat große Schäden in und um Kitzbühel angerichtet. Die bis zu Golfball großen Hagelkörner zerschlugen Autoscheiben, hinterließen tiefe Löcher in Hausfassaden und zerstörten wertvolles Grasland. Dass sich ein schweres Gewitter zusammenbraute, sah man schon einige Zeit zuvor. Dick und schwarz hing das drohende Unwetter über dem Unterinntal und Brixental, bevor es zu uns herein zog. Und wie es bei solchen Naturereignissen üblich ist, wurde Wetter geläutet. Die große, 6374 kg schwere Kaiserglocke in der Kitzbüheler Liebfrauenkirche wurde gegen das Gewitter eingesetzt. In der Tiroler Tageszeitung konnte man ein paar Tage später nachlesen, dass sich viele Kitzbüheler einig seien, dass die Glocke dieses Mal sehr spät geläutet habe. Vielleicht hätte man bei einem früheren Einsatz das Unwetter abwenden oder zumindest abmildern können. Aber stimmt das denn? Ich will daher aus gegebenem Anlass das Wetterläuten einmal etwas genauer betrachten.

Aberglaube und Glaube

Der Hagelsturm naht!

Dieses Bild passt auch gut zum letzten Thema über Pareidolie.

In der Natur gibt es Phänomene und Gefahren, die seit alters her schon immer unheimlich waren. Solange man noch nicht mehr darüber nachgedacht hatte, vermutete der Volksglaube hinter jedem bedrohlichen Ereignis das Wirken von Dämonen und bösen Geistern. Vor allem spielten das Gefühl des „Ausgesetzt-Seins“ und das Gefühl der Machtlosigkeit eine große Rolle. Es brachte nichts, Bauten zu errichten, denn Blitze und Hagel kamen von oben. So flüchtete man sich in den Glauben. Da die Kirchtürme hoch in den Himmel ragen und dort die Glocken angebracht sind, die vordergründig zum Gebet mahnen oder zur Messe aufrufen sollten, versprach man sich vom Klang der Kirchenglocken schon bald mehr.

Zahlreiche Glaubensvorstellungen knüpfen sich an Glocken. Ein im Mittelalter weitverbreiteter Glaube besagte, dass ein Dämon auf einem (natürlich unsichtbaren) Drachen reitend die Gewitter brächte. Den Gottlosen könne man vertreiben, indem man die Glocken läute und so das Gewitter zerschlage. Verbreitet war auch der Aberglaube, dass die Seelen von Hexen, deren Körper auf Scheiterhaufen verbrannt worden waren, die Unwetter brächten und dass man sie durch Glockenläuten vertreiben könne. Es gab noch zahlreiche weitere Geschichten.

Geboren aus Unwissen vermischten sich Glaube und Aberglaube nahtlos miteinander. Das Wetterläuten entstand aus solchen Vorstellungen heraus. Für das Wetterläuten waren nach dem Glauben vieler Menschen noch im 19. Jhd. verschiedene Glocken verschieden geeignet; manche waren besonders gut, und je größer, desto wirksamer seien sie.

Schall ist eine Luftdruckänderung

Die Aufklärung brachte schließlich die Wissenschaft ins Spiel. Glaubte man nun nicht mehr, dass Glocken mit frommen Sprüche drohende Unwetter besser vertreiben würde, so erklärte man sich die Wirksamkeit des Wetterläutens mit Schallwellen, die, von den Glocken ausgesandt, Wolken zerstreuen und Hagelkörner zerstören würden. Schall ist ja bekanntlich ein mächtiges, durchdringendes Phänomen. Der laute und tiefe Schall der Glocken soll einen Druck auf die Wolken ausüben, diese zerteilen und verwehen.

Die Lautstärke eines Geräuschs im Allgemeinen wird in Dezibel gemessen. Ein Fernseher auf Zimmerlautstärke hat 60 dB, eine Hauptverkehrsstraße in 10 m Entfernung misst 80 bis 90 dB, Gehörschäden bei langfristiger Einwirkung entstehen bei 85 dB, ein Drucklufthammer ist 100 dB laut, Gehörschäden bei kurzfristiger Einwirkung entstehen bei 120 dB und die Schmerzgrenze liegt bei 130 dB. Wenn der Gottesdienst mit allen Glocken eingeläutet wird, werden rund 120 dB erreicht. Eine einzelne Glocke in der Größe der Kaiserglocke in unserer Liebfrauenkirche hat eine Lautstärke von 80 bis 100 dB. Das ist schon beachtlich. Natürlich hängt die gemessene Lautstärke immer auch von der Entfernung von der Schallquelle ab.

Physikalisch gesehen ist Schall lediglich eine Änderung des Luftdrucks, welche sich wellenartig ausbreitet. Den Schalldruck misst man, wie den Luftdruck, in der Einheit Pascal (Pa). Der Standard-Luftdruck liegt bei 100.000 Pa, in Worten einhunderttausend Pascal. Der Schalldruck einer 100 dB lauten Schallquelle beträgt 2 Pa, in Worten zwei Pascal. Der normale Luftdruck ist also schon 50.000-mal höher, als der Schalldruck einer Glocke. Dazu kommt noch, dass sich mit zunehmender Entfernung von der Glocke der Schalldruck enorm schnell vermindert. Bei Entfernungsverdopplung fallen die Werte für den Schalldruck auf die Hälfte (50%) des Anfangswerts. Misst man zum Beispiel in 100 m Entfernung von der Liebfrauenkirche einen Pegel von 100 dB, also 2 Pa, so würde man in 200 m Entfernung nur mehr 1 Pa Schalldruck messen; nach 5 km liegt der Schalldruck nur mehr bei 0,04 Pa. Man kann sich also sehr gut vorstellen, dass das Glockengeläut, und sei es auch noch so laut, absolut keinen Einfluss auf eine Gewitterzelle in mehreren Kilometer Entfernung haben kann. Das ist ein physikalischer Fakt!

Blitz und Donner gehen immer mit einem Unwetter einher. Sogar Donner, der unmittelbar in den Wolken entsteht und der einen 10-fach höheren Schalldruck als Glocken ausübt, schafft es nicht, das Unwetter zu vertreiben. Sonst müsste sich ja jedes Gewitter nach den ersten Donnerschlägen immer gleich selbst auflösen.

Kaiserglocke Kitzbühel
Kaiserglocke Kitzbühel: Foto wurde mit freundlicher Genehmigung von Peter Lackner, Kitzbühel, zur Verfügung gestellt.

Subjektive Wahrnehmung spielt eine Rolle

Wie kommt es aber nun, dass man trotzdem manchmal das Gefühl hat, dass sich durch das Glockenläuten ein Unwetter vertreiben lässt? Die Antwort darauf ist subjektive Wahrnehmung. Die Atmosphäre ist ein chaotisches System. Gewitter entladen sich oftmals sehr lokal und es lässt sich nicht voraussagen, ob der Hagel nun ein paar Kilometer weiter hier oder dort niedergehen wird. Auch beim letzten, eingangs erwähnten Hagelschlag war es so. Während er am Südrand des Kitzbüheler Stadtgebietes besonders schlimm wütete, gab es in Hechenmoos nur mehr „normalen“ Regen.

Das bedeutet nicht, dass die Kirchglocken in Kitzbühel zu spät und die Glocken von Aurach besonders effektiv geläutet hätten, sondern nur, dass ein chaotisches Wetterphänomen seinen Gang genommen hat.

Hagelkörner in meinem Garten
Noch am nächsten Tag waren die Hagelkörner nicht geschmolzen
Hagelkörner
Besonders im Süden von Kitzbühel lag der Hagel knöchelhoch.

Schall kann Lawinen auslösen

Schnee fällt in Phasen. Altschnee wird zusammengepresst, Neuschnee lagert sich oben ab, setzt sich, wird zu Altschnee. Dieser lagige Aufbau der Schneedecke lässt sogenannte Schwächezonen entstehen, die Lawinen anfällig sind. Insbesondere gefrorene Schneeschichten, die von lockerem Neuschnee überlagert werden, sind hart und körnig und bilden eine Gleitschicht, auf dem schließlich das darüber liegende Material nach unten gleiten kann.

Vielleicht weißt du noch aus dem Physikunterricht, dass es mehrere Arten von Reibung gibt – unter anderem die Haft- und die Gleitreibung. Damit so ein Schneebrett oder eine Lawine ins Rutschen gerät, muss die Haftreibung überwunden werden, die Gleitreibung ist viel zu gering, um die Katastrophe dann noch aufzuhalten.

Wenn der Schnee besonders labil geschichtet ist, und nur noch eine Kleinigkeit fehlt, um die Haftreibung zu überwinden, können auch kleinste Ursachen eine verheerende Wirkung haben. Zu den möglichen Auslösern einer Lawine gehören neben Skifahrern und Schneebällen tatsächlich auch die Druckwellen lauter Geräusche. Allerdings muss die Schallquelle sehr nahe an der Gleitschicht sein, damit die Druckwelle ausreicht. Außerdem funktioniert hier die Schalldruckübertragung auf vollkommen andere Art, als bei Wolken. Bei Gewittern gibt es keine „feste“ Materie, die Schallwellen dringen einfach durch die Wolken hindurch, ohne auf Widerstand zu stoßen. Im Schnee werden die Schallwellen an allen harten, vereisten Schichten und am gefrorenen Boden unterhalb gebrochen und reflektiert. Wenn nun ankommende Schallwellen und reflektierte, also zurückkommende, Schallwellen aufeinander treffen, können sie sich aufschaukeln und verstärken und so leichte Vibrationen an den Schneeschichtgrenzen auslösen. Das kann dann schon ausreichen.

Deshalb ist es zum Beispiel nicht ratsam, bei bestimmtem Schneedeckenaufbau und Temperaturen in einem Lawinengebiet Hubschrauber zur Rettung einzusetzen. Fatal kann es auch sein, wenn der Lärm, den eine Lawine erzeugt, zum Abgang weiterer Lawinen führen kann.

Wie funktioniert nun das Wetterläuten?

Will man also die Frage „Wie funktioniert das Wetterläuten?“ beantworten, so lautet die Antwort: „Gar nicht!“. Man sollte das Wetterläuten als das nehmen, was es ist, als netten Brauch und als Alarm, um sich in Sicherheit zu bringen.

Interessante Links zum Thema

Tiroler Tageszeitung: Kaiserglocke konnte den Hagel nicht verhindern

IT Wissen: Schalldruck

Wikipedia: Schalldruck

Tontechnik-Rechner: Umrechnung von Schallgrößen

Tontechnik-Rechner: Schalldruck und Entfernung Rechner

 

Hast du Fragen zum Thema, dann schreibe sie einfach unten in die Kommentare. 

2 Antworten zu “Wie funktioniert das Wetterläuten?

  • Qamez Chatuf
    6 Jahrenvon

    Es geht nicht um physikalische Phänomene, sondern um geistliche Inhalte. Nicht „Schallwellen“ sollen das Wetter abhalten, sondern der „geweihte Glockenklang“. Es geht um die apotropäische Wirksamkeit der Kirchenglocke, die sie durch ihre Weihe erhalten hat und sich z. B. im Brauch des Wetterläutens zeigt. Vgl. auch Wettersegen.

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